Theorie 5: Guerilla-Zweckentfremdung
In der letzten Theoriefolge habe ich Derivé als subversives Erkundungs-Prinzip der Situationistischen Internationale (SI) beleuchtet. Diesesmal stelle ich die zweite Technik vor:
Détournement
Eine weitere subversive Technik ist Détournement, was Zweckentfremdung bedeutet. Hierbei werden vorhandene Elemente aus der Kultur (z.B. Bilder, Möbel, Gebrauchsgegenstände) benutzt und in einem anderen Kontext gestellt. So führt man die originären Bedeutungen ad absurdum und kann innovative Gebrauchsweisen finden. Die SI setzt allerdings voraus, dass alle kulturellen Güter generell Gemeingüter sind und damit auch uneingeschränkt Verwendung finden sollten. Détournement macht ein „Plagiat notwendig“ (DEBORD 1995, S.41) und widersetzt sich so dem kapitalistischen Verständnis von Eigentum. Das klassische Urheberrecht wird aufgehoben und es verschwimmt die Grenze zwischen Produzent und Konsument. Ideen können dann frei im kulturellen Raum schweben und von jedem benutzt werden.
In ihrer praktischen Anwendung bediente sich die SI z.B. an den Bildern alter Meister und setzte sie mit Comicstrips und Überschriften in neue Kontexte (vgl. LIEBL 2005a, S.15ff. / SEIFERT 2004, S.200ff.). Debord und Wolman unterscheiden zwei Pole des Détournement: Der erste Pol ist die geringfügige Zweckentfremdung, die sich unbedeutende Elemente eines Gesamtwerkes herauspickt und in einem neuen Zusammenhang collagiert (z.B. Fotoschnipsel aus Zeitungen für Collagen). Der andere Pol führt die Zweckentfremdung missbräuchlich durch und arbeitet absichtlich mit bedeutenden Elementen (z.B. der Kopf der Mona Lisa auf einer Überwachungskamera). Weiterhin formulieren sie Gesetzmäßigkeiten, die für eine erfolgreiche Rezeption und Anschlusskommunikation sorgen können (vgl. DEBORD /WOLMAN 1995, S. 22f.):
- Am überzeugendsten wirkt ein Element, das aus dem entferntesten Zusammenhang benutzt wird (z.B. Trompeten als Urinal verwenden).
- Nach dem Motto ‚Keep it simple and stupid’ soll die zweckentfremdete Bedeutung nachvollziehbar und erinnerbar sein (z.B. Suppe mit der Kaffeemaschine kochen).
- Eine rein rationale Erwiderung ist ein schlechter Weg, wenn sie als banale Schlagfertigkeit formuliert wird.
- Zweckentfremdung durch einfache Umkehrung der vorherigen Bedeutungwirkt am schwächsten (z.B. FDP-Wahlkampf-Slogan 2009 ‚Für alle, die mehr wollen’ umwandeln in ‚Für niemanden, der mehr will’ – besser wäre ‚Für alle, die nicht mehr können’).
Diese Erkenntnisse waren damals nicht neu und blicken u.a. auf Errungenschaften der Surrealisten zurück. In der Absicht Debords steckt zumeist ein Politikum, denn Zweckentfremdung wird meistens gegen etwas benutzt. Es geht ihm darum, für die ‚gute’ linke Seite spielerisch zu agieren.
Guerilla-Détournement
Im Gegensatz dazu stehen wir dem Spiel völlig unvoreingenommen gegenüber und wollen Begeisterung für eine Sache wecken – nämlich Nachhaltigkeit. Die Nachhaltigkeits-Guerilla versteht sich als Ideenschmiede, in der wir neue Kontexte damit neue Zielgruppen für DAS LEITBILD des 21 Jh. erschließen. Jeder ist willkommen unsere Ideen, Ansätze und Aktionen aufzugreifen und sie weiterzuentwickeln, denn unsere Inhalte sind Gemeingut und dürfen sollen kopiert werden.
(Beim nächsten Mal folgt die dritte subversive Technik der SI: Bricolage.)
Quellen