Theorie 2: Situationistische Internationale

Gründung einer Bewegung

Die Situationistische Internationale (SI) ist Ende der 50er Jahre als Zusammenschluss aus verschiedenen linken Künstlergruppen entstanden. Hier versammelten sich bis zu 70 revolutionäre Genossen, die meist Künstler, Architekten und Theoretiker aus Ländern wie Frankreich, Belgien, England oder Algerien waren. Gründungsmitglied Guy Debord war die ideologische Leitfigur der SI und bis zu deren Auflösung 1972 der oberste Wächter über die selbst gesetzten Dogmen. Mit ihrem publizistischen Organ Internationale Situationiste übten sie einen entscheidenden Einfluss auf damalige und folgende linke Bewegungen aus, denn ihre jährliche Zeitschrift thematisierte erfolgreiche, situationistische Anwendungen in einem ästhetischen Stil, der bis dato seinesgleichen suchte (vgl. BAUMEISTER ZWI NEGATOR 2006, S.8f.).

Die Situationistische Internationale wird häufig als reine Kunstbewegung dargestellt, jedoch hat sie darüber hinaus einen höheren gesellschaftlichen Anspruch. Mit ihrer Periode zur Abschaffung der Kunst, wollten sie sich gerade aus den Fesseln der Kunst-Etikettierung befreien. Damit schließen sie sich ihren geistigen Vätern – den Dadaisten – an, die ebenfalls die bestehenden Grenzen von Politik, Kunst und Kultur auflösen wollten (vgl. SEIFERT 2004, S.187ff.).

Spektakel und Ich-Entfremdung

Die SI wollte die Entfremdung des Ichs in der spätkapitalistischen Gesellschaft bekämpfen. Ganz in der Tradition von Karl Marx kritisierte sie, dass sich Warenbeziehungen bis inden letzten Winkel der sozialen Realität eingenistet haben. Das eigene Leben wird zum Spektakel, das aus der Distanz beobachtet keinen direkten Zugriff mehr zulässt. Selbst intimste Momente werden in der Werbung abgebildet und lassen sich ‚imaginativ‘ konsumieren (vgl. BAUMEISTER ZWI NEGATOR 2006, S.9; PLANT 2001, S.244f.). Das Bild wird damit zur wertvollsten Ware und stellt den mächtigsten Fetisch dar. Dabei überlagert es den eigentlichen Kern der Sache. Durch den immerwährenden Konsum von konsumentengerechten Bildern wird das entfremdete Ich zum Schein befriedigt und die natürlichen Wünsche verschwinden.

Nach Debord ist das Spektakel, worauf die ganze kapitalistische Produktion abzielt, „nicht ein Ganzes von Bildern, sondern [ein] durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen“ (DEBORD 1978, S.3). Es ist nicht mehr als eine Scheinwelt, in der sich alle Menschen bewegen und ihre festgelegten Rollen spielen. Freiheit verkommt darin zur puren Repräsentation und gleicht einer Simulation, denn ‚freie Wahl’ bedeutet nichts anderes, als zwischen vorgegebenen Bildern zu entscheiden. Die Eintrittskarte zu dieser ‚schönen neuen Welt’ heißt Geld. Damit wird Geld zum eigentlichen Sinn des Lebens. Alle Tätigkeiten dienen für das entfremdete Ich zum sinnleeren Gelderwerb.

Eine Entfremdung vom Ich beinhaltet jedoch, dass es früher einmal anders war. Hier stellt sich die Frage, ob der Mensch jemals zuvor eine echte Freiheit im Sinne der SI leben konnte. Dies kann bezweifelt werden, denn mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten wurde die Freiheit des Einzelnen gestärkt. Die Arbeitszeit für die Befriedigung der Grundbedürfnisse nahm beträchtlich ab und konnte anderweitig für höhere Bedürfnisse investiert werden. Jedoch stieg auch der Grad der Fremdbestimmung, denn eine Arbeitsteilung schließt ein, dass nicht nur die eigenen Ziele verfolgt werden können.Eine starke Differenzierung der Gesellschaft im flexiblen Kapitalismus bringt also zwangsläufig eine Entfremdung des Subjekts mit sich. Es ist eine Frage des Maßes, wie sich dieses Phänomen in einer Gesellschaft äußert. Menschen sollen keine konsumierenden Roboter und hirnlosen Staatsdiener sein, auch wenn es manche Ideologien so vorgeben.

Fast 50 Jahre nach der Gründung der SI hat sich die Ausgangssituation maßgeblich verändert. Während in den 50/60er Jahren der 2. Weltkrieg für die meisten Menschen aktive Erinnerung war und eine neue Zeit der Warenwelt angebrochen schien, ist heute der flexible Kapitalismus zum Normalzustand geworden. Was der SI damals so neu und fremd erschien, hat sich heute noch viel stärker im Alltag manifestiert. Die Wirtschaft hat längst die Kraft der Bilderwelten erkannt und setzt sie bewusst ein. Marken sind nichts anderes als ‚appetitanregende Gedankenbilder/-filme’, die den Konsumenten verführen sollen. Sie wirken als lustvolles Versprechen für die individuelle Zukunft der Konsumenten. Die Mitglieder der SI spürten scheinbar eine solche dramatische Entwicklung und versuchten durch subversive Aktivitäten dem Spektakel entgegenzuwirken.

(In der nächsten Folge wird erklärt, wie die Situationistische Internationale das Spektakel auflösen wollte. Dann kommen wir auch wieder zur praktischen Guerilla)

Quellen

BAUMEISTER ZWI NEGATOR, Biene (2006): Situationistische Revolutionstheorie – Communistische Akutalität und linke Verblendung. In: Grigat, Stephan et. Al. (Hrsg.): Spektakel – Kunst – Gesellschaft. Guy Debord und die situationistische Internationale. Berlin: Verbrecher Verlag. S. 5-36.

SEIFERT, Anja (2004): Körper, Maschine, Tod. Zur symbolischen Artikulation in Kunstund Jugendkultur des 20. Jahrhundert. Wiesbaden: VS Verlag.

PLANT, Sadie (2001): In die Theorie hinein und wieder hinaus. In: Baecker, Dirk / Huber, Jörg (Hrsg.): Kultur-Analysen. Interventionen. Wien: Springer. S. 243-260.

DEBORD, Guy (1978): Die Gesellschaft des Spektakels. Übersetzt von Jean Jaques Raspaud. Hamburg: Verlag Lutz Schulenburg. (Org. 1967).


Die Guerilla strippt endlich weiter: Theorie 1.SUBVERSION

tit revolution (c) by pkfortyseven

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Vor Urzeiten haben wir begonnen, uns nackig zu machen – aber nur sprichwörtlich. Wir wollten das Wesen der Nachhaltigkeits-Guerilla ergründen und einen thereotischen Strip hinlegen. Ich glaube wir sind irgendwo bei der Jacke oder Mütze hängen geblieben und sind dann eingeschlafen. Jetzt gehts endlich weiter. Licht aus, Musik an …

Heute fangen wir  mit dem Begriff der Subversion an. Subversion bedeutet im Allgemeinen soviel wie umstürzen oder umkehren. Im Kern geht es um die Aktivität eines Schwächeren in einem politischen Umfeld mit einer etablierten Herrschaftspraxis, einem dominanten Kollektiv und festgelegten Routinen (vgl. TERKESSIDIS 2009, S.21). Mitunter werden durch subversive Aktivitäten Innovationskräfte freigesetzt, wenn auf das Umstürzen bestehender Traditionen oder Herrschaftsverhältnisse abgezielt und damit ein Vakuum für Neues geschaffen wird.

Dabei unterscheidet sich das Subversive grundsätzlich von anderen Widerstandsformen wie z.B. dem Protest, der auf einen Dialog mit den Herrschenden setzt oder dem Kabarett, das eine kritisch-ironische Distanz zu denAutoritäten schafft. Während diese Widerstandsformen meistens einen stabilisierenden Effekt auf Machtsysteme haben, wollen subversive Kräfte sie demontieren. Dabei operieren sie oftmals im Verborgenen und bedienen sich unterschiedlicher Taktiken und Strategien.

Die Subversiven können Hegemonien direkt von ‚außen’ attackieren oder sie unterwandern Machtsysteme von innen und zersetzen sie langsam. In der jüngeren Geschichte gab es diverse prominente subversive Bewegungen, von den Dadaisten, über die Cultural Jammers zur Roten Armee Fraktion. Diese Bandbreite zeigt die Unschärfe des Begriffs auf. Man kann den Begriff nach Ernst in seinen historischen Verwendungen voneinander abgrenzen (vgl. ERNST et. al. 2008, S.12ff.):

  1. Die politisch-revolutionäre Subversion wird aus der Sicht der Herrschenden eingeordnet. Sie bezeichnet jene Gruppen, die eine bestehende Herrschaft mit einem „revolutionären Akt oder Prozess radikal umstürzen wollen“ (ebd., S.13). Diese Kategorie wird gemeinhin mit Terror gleichgesetzt, wie ihnAl-qaida oder Hamas betreiben.
  2. Die künstlerisch-avantgardistische Subversion wird vorwiegend durch Kunstbewegungen forciert. Hier werden vorherrschende Zeichensysteme durch „einzelne spielerische Akte exemplarisch“ (ebd., S.13) außer Kraft gesetzt. Als Beispiele dieser Kategorie können Bewegungen wie die Surrealisten, die Situationisten oder die Kommunikationsguerilla genannt werden.
  3. In der minoritären Subversion erheben sich einzelne diskriminierte Minderheiten gegen die ethnische, sexistische oder ökonomische Unterdrückung durch die Mehrheitsgesellschaft. Dabei können sie durch Vorleben ihres alternativen Lebensstils eine fundamentale Veränderung der Majorität herbeiführen.
  4. Im Begriff der dekonstruktivistischen Subversion beziehen sich Vertreter der Gender Studies und der Postkolonialen Theorie „auf die These, dass die Befreiung ‚minoritärer Identitäten‘ erst durch die Auflösung jener Matrizen[…], die sie konstruieren helfen, erreicht werden könne“ (ebd., S.14).

Die Nachhaltigkeits-Guerilla bewegt sich auf dem Pfad der (2) künstlerisch-avantgardistische Subversion. Wie Schäfer und Bernhard feststellen, sind subversive Praktiken nicht allein dem Subversiven vorbehalten, sondern „lassen sich in den Bereichen Kunst, Politik und Wirtschaft zur Kommunikation von Themen feststellen“ (SCHÄFER/BERNHARD 2008, S.74). So werden sie mit Vorliebe auch von Marketing und Public Relations entdeckt und gebraucht.

(Die nächsten Theorie-Beiträge sind gesondert kennzeichnet und kategorisiert. Es geht in einer Woche weiter mit der Situationistischen Internationale.)

Quellen

ERNST, Thomas et. Al (2008): SUBversionen. Eine Einführung. In: Ernst, Thomas et. Al. (Hrsg.): Subversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Bielefeld: transcript Verlag. S.9-26.

SCHÄFER, Mirko Tobias / BERNHARD, Hans (2008): Subversion ist Schnellbeton! Zur Ambivalenz des ‚Subversiven‘ in Medienproduktionen. In: Ernst, Thomas et. Al. (Hrsg.): Subversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Bielefeld: transcript Verlag. S.27-46.

TERKESSIDIS, Mark (2008): Karma Chamäleon. Unverbindliche Richtlinien für die Anwendung von subversiven Taktiken früher und heute. In: Ernst, Thomas et. Al. (Hrsg.): Subversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Bielefeld: transcript Verlag. S.69-88.