Esst die ganze Ernte

Heute morgen habe ich noch einer Diskussion auf Deutschlandfunk gelauscht zum Thema „Von allem zuviel – das Wegwerfen von Lebensmitteln“ (vgl. Link zum Beitrag beim DLF).

Unter anderem ging es (wieder mal) darum, dass der Handel nur das anbietet, was vom Kunden gewünscht wird. Da der Kunde nun mal nur gerade Karotten isst und keine krummen Dinger, werden krumme Möhren eben auch nicht angeboten.

Ein Gesprächsteilnehmer kam dann auf die Idee, ein Spezialitätengeschäft aufzumachen, in dem nur krumme Dinge, also nur Obst und Gemüse, welches nicht im normalen Handel landet, anzubieten. Der Vertreter des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels erklärte daraufhin, wenn der Markt dies verlangt, wird der Handel dies auch erkennen und anbieten.

Ich musste schmunzeln, während der Beitrag lief und dachte so für mich: Hätte auch eine Idee der Nachhaltigkeitsguerilla sein können – war es aber leider nicht…

Aber was entdecken meine Augen, während ich so auf Facebook rumklicke? Seht selbst:

Das Foto entstammt dem Facebook-Profil von der Markthalle IX. Gibts nicht, gibts nicht!

Das Ganze erinnert mich auch ein wenig an unsere Kampagne ‚Naschen, was nachwächst‘. Könnt Ihr Euch erinnern?

.: RECLAIM THE STREETS :.

Die Stadt ist kein öffentlicher Raum. Sie erscheint auf den ersten Blick zugänglich für alle. Die Stadt bietet vermeintliche Räume des Aufenthalts, wie Fußgängerzonen, Spielplätze oder Parkbänke, damit sich ihre Besucher zwischen den Geschäftszeiten kurz ausruhen, um dann gestärkt mit voller Kraft weiter konsumieren zu können. Doch nach 20h, da möchte die Stadt nicht, dass wir es uns gemütlich machen. Besonders schlimm ist das für Menschen, die nicht nach Hause können, die die Stadt ihr Zuhause nennen, welches ihnen Obdach bietet. Dann wird die Stadt hart und fährt ihre Krallen aus.

Verdrängung?

Die Stadt gehört jenen, die nur zu Besuch sind, nicht denen die tatsächlich darin wohnen. Hat man Geld, kann man es sich im Café gemütlich machen. Hat man nichts, um zu konsumieren, kann man in der Stadt nicht ruhen. Für diejenigen werden Schranken in Form von Konsumtempel errichtet und Orte der Verspannung geschaffen. Es mutet absurd an, wenn man sich beispielsweise diese Zäune gegen Obdachlose in Hamburg anschaut:

http://www.youtube.com/watch?v=_nu9NBcrhcI

Hindernisse werden errichtet, um Obdachlose fernzuhalten, um sie zu verdrängen. Die Frage „wohin“ oder dass es für sie kein „dorthin“ gibt, spielt keine Rolle. Die Künstler der Survival Group sammeln fotografische Belege des städtischen Krieges gegen seine Bewohner.

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Die Fotos können sich einer grotesk-komischen Wirkung nicht entziehen. Gezielte Abwehrhaltung als Gestaltungsmaxime legt diese Fotostrecke offen. Sie entlarvt die Waffen der Stadt und die Verdrängung aus dem vermeintlich öffentlichen Raum. Was ist das Ziel und wo liegen die Fronten, fragt man sich. Wer kämpft hier gegen wen? Die Stadt – als eigentlich freier Ort der Begegnung und des Austauschs – ist längst nicht frei. Verdrängung und Hast statt Rast scheinen die gestalterischen Leitlinien zu lauten…

Holt euch den Raum zurück, hackt und öffnet ihn.

Doch es gibt eine Antwort auf diese Bewegung. Reclaim the streets! Holt euch die Straße zurück, denn sie gehört euch. Die in den 90er Jahren in London gestartete Bewegung „Reclaim the streets“ trägt den Grundgedanke, sich den öffentlichen Raum zurückzuholen und wieder für alle Menschen und Individuen zugänglich zu machen – egal ob mit oder ohne Geld in der Tasche. Mit Sofas, Fernseher und Rollrasen sollten Autos von den Straßen in London verbannt und Straßen zum Vorgarten und Wohnzimmer der Passanten werden.

Nehmt euch was euch zusteht. So geschehen unter anderem in der Urban Hacking School, die den öffentlich Raum zurückerobert. Durch gezielte Eingriffe, werden vorhandene Elemente genutzt und zweckentfremdet. Es entsteht eine nicht-intendierte Nutzungsweise, die oftmals entgegengesetzt zur ursprünglichen Absicht steht. Der Raum erfährt eine Re-Humanisierung und schafft Inseln zum (zumindest kurzen) Verweilen, wie beispielsweise diese Bank aus Pflastersteinen:

Aber auch der Balkon von Vladimír Turner schafft einen Raum, der offen ist für seine urbanen Bewohner, anstatt sich ihrer zu verschließen.

Das Motto Rast statt unbequemer Hast verfolgen auch diese Ideen, bei der mit einfachen Mitteln Parkbänke zum Bett umfunktioniert wurden und somit zum längeren Verweilen oder sogar Übernachten einladen (Siehe Beitrag auf Nachhaltigkeitsguerilla).

Rastmöglichkeiten müssen jedoch nicht immer provisorisch und temporär sein. Sie können von Stadtentwicklern aufgegriffen und integriert werden, wie diese Schlecht-Wetter-Bank zeigt. Sie ist vielleicht ein Anfang, um unsere Städte wieder humaner und dennoch schön zu gestalten…?

Ragged Schools

Bei meinen Recherchen zur Obdachlosen-Uni (vgl. Blogeintrag zum Thema Obdachlosen-Uni) bin ich über die Ragged Schools gestolpert. Ein interessantes Vorläufermodell der Obdachlosen-Uni in Berlin…?

Anthony Ashley-Cooper war einer der Gründer des Vereins zur Verbesserung der Lebensbedingungen der arbeitenden Klassen. Neben Gemüsegärten für Landarbeiter und Kreditgesellschaften und Wohnheime für Arme, gründete der Verein 1844 die „Union der Zerlumpten Schulen“.

In diesen „Ragged Schools“ sollte ein besonders niedrigschwelliges Angebot geschaffen werden. Obdachlose Kinder und Kinder aus Armenwohnheimen waren die Zielgruppe dieser Schulen. Dabei sollten sie die Möglichkeit haben, in ihren „Lumpen“ die Schule zu besuchen (vgl. Beutel, Harald (2007): Die Sozialtheologie – Thomas Chalmers und ihre Bedeutung für die Freikirchen, Göttingen, S. 69/70).

Heute gibt es das Ragged School Museum in London (vgl. http://www.raggedschoolmuseum.org.uk/nextgen/)

Der Countdown läuft für die Utopia Awards 2011

Am 19. Oktober wird Utopia.de, die Community zum Thema „Strategischer Konsum“, ein Changemaker-Forum in Berlin veranstalten. Dabei werden auch zum vierten Mal in Folge die Utopia Awards verliehen. Wie begehrt die Auszeichnung ist, zeigt schon die Anzahl der Nominierungen: Fast 100 allein schon in der Kategorie „Organisationen“!

Darunter auch die Nachhaltigkeits-Guerilla und zum Beispiel die Trinkwasserinitiative Viva Con Agua, deren Gründer Benjamin Adrion 2008 bei den allerersten Awards von den Utopia-Mitgliedern als „Vorbild des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Da musste ich natürlich gleich ein Foto mit ihm machen!

HolK traf bei den Utopia Awards 2008 Benjamin Adrion von Viva Con Agua, den Gewinner des Publikumspreises

HolK traf bei den Utopia Awards 2008 Benjamin Adrion von Viva Con Agua, den Gewinner des Publikumspreises


Zusammen mit der Welthungerhilfe sorgt Viva Con Aqua dafür, dass die Leute da sauberes Wasser bekommen, wo es leider nicht selbstverständlich ist. Das Besondere ist die sympathische und aktivierende Art, mit der für dieses Ziel geworben wird. Benefiz-Turniere, extra produzierte Allstar-Songs mit unter anderem Mellow Mark und Gentleman oder der Vertrieb eigener Wasserflaschen.

HolK TV wurde für die „Vorbilder“-Kategorie nominiert. Und vorbildlich ist hoffentlich mein unabhängiges Engagement für andere Initiativen wie „Essen ohne Gentechnik“, „Ausgestrahlt“, „Stunde der Gartenvögel“, „Coal for Obama“ und hier in der Guerilla. Denn es zeigt, dass auch ganz „normale“ Leute etwas zum positiven Wandel der Welt beitragen können.

Auch dieses Jahr wird wieder bei den Utopia Awards die Community befragt, wer die Preise aus ihrer Sicht bekommen soll. Registrierte Mitglieder können noch bis zum 17.10.2011 in vier Kategorien abstimmen. Ich freue mich natürlich über alle, die für die Guerilla und/oder mich stimmen. Aber gegen die „Konkurrenz“ zu verlieren, wäre natürlich auch keine Schande!

Abstimmen unter: http://www.utopia.de/branchenbarometer/utopia-award-2011-voting

Jetzt inserieren: Streetlife – das Magazin für den modernen Obdachlosen

Es gibt jede Menge Stiftungen und Fördertöpfe, die sich die Armutsbekämpfung auf die Fahne geschrieben haben. Dement- sprechend gibt es auch jede Menge Fördernehmer, die sich Projekte ausdenken, die, naja, der Armutsbekämpfung dienen.

Bei meinen Recherchen und der Netzwerkarbeit fällt mir immer wieder auf, dass Soziale Einrichtungen, die z. B. Sozialarbeiter auf die Strasse schicken, um mit ‚Menschen mit Armutserfahrung‘ zu arbeiten, sich vor Anfragen manchmal gar nicht retten können. Obdachlose sollen interviewt werden, Fragebögen müssen ausgefüllt werden etc. Es entsteht so etwas, wie eine Konkurrenz um die Kundenkategorie ‚Mensch, dem geholfen werden soll‘.

„Komm zu uns, bei uns gibt´s die bessere Suppe“, denn da, wo es die besten Suppen gibt, und somit die meisten ‚Kunden‘ bedient wurden, da fließt auch die nächste Förderung hin…

Meine Idee: Wir gründen eine Zeitschrift für den modernen Obdachlosen. Hier können alle sozialen Einrichtungen, Forscherteams und Charma-Jäger inserieren und um ‚Kunde Obdachloser‘ werben.

Streetlife – das Magazin für den modernen Obdachlosen



Nachtrag vom 22.11.2011:
…ach, sieh an, eine vergleichbare Zeitschrift gab es sogar schon mal: „Der Kunde. Zeit- und Streitschrift der Internationalen Bruderschaft der Vagabunden.“ Erscheinungsweise: „in zwangloser Folge“. Auflage: 1000. Preis: 30 Pfg., „Kunden, die unterwegs sind, bezahlen nichts“. Klingt nach einem guten Konzept… (vgl. Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus unter http://ur.dadaweb.de/dada-p/P0001693.shtml)

 

Flohmarktstand mit nix und Hundemasken (NAK – Nationale Armutskonferenz 2011)

Heute und gestern fand in den Räumen der Stadtmission in der Lehrter Strasse in Berlin die Nationale Armutskonferenz 2011 statt. In der Hoffung meinen Fragebogen (vgl. Obdachlosen-Uni) unter die Leute zu bekommen, bin ich dann dort mal hingegangen.

Zu erleben gab es interessante Vorträge und schöne Arbeitsgruppen. Wie nicht anders zu erwarten, bin ich in der Arbeitsgruppe ‚Öffentlichkeitsarbeit für die Nationale Armutskonferenz‘ gelandet. Unsere Ideen sind demnächst unter www.sozin.de einzusehen.

Zwei sehr sympathische Ideen möchte ich an dieser Stelle kurz anreissen:

– Hundemasken:
Setzt Euch Hundemasken auf und fahrt somit schwarz mit den Öffentlichen (denn Hunde zahlen keine Tickets und fahren kostenlos). Was damit ausgesagt werden soll? Na, dass Obdachlose, Erwerbsarbeitslose und alle anderen Menschen mit Armutserfahrungen viel zu viel für die öffentlichen Verkehrsmittel zahlen müssen und dass es ihnen schlechter geht, als so manchen Hund, der kostenlos mitfahren darf. Unflexibler als ein Hund quasi… Ich möchte hiermit aber ausdrücklich niemanden dazu verleiten, dies wirklich zu tun. Ist nur so eine Idee, die natürlich NICHT zu empfehlen ist, da verboten, und was verboten ist, meine Dame/mein Herr, wird auch nicht gemacht!

– Flohmarkt mit nix
Mietet einen Flohmarktstand und verkauft nix, denn Ihr habt nix. Ich finde, dies ist eine eingängliche Idee, um den Leuten zu zeigen, wie es ist, nix zu haben. Man kommt bestimmt mit den einen oder anderen Flohmarktbesucher ins Gespräch.

Beide Idee könnten am 17. September umgesetzt werden (also übermorgen), denn dann ist Weltarmutstag.

Weitere Infos: www.nationale-armutskonferenz.de

Obdachlosen-Uni


(Bild: Tafelbild Obdachlosen-Uni / Bildquelle: strassenseiten.blogspot.com)

Bisher gibt es in Berlin für Obdachlose nur wenig Chancen auf Bildung. Sie haben zwar das ‚Recht‘ in die Volkshochschule zu gehen bzw. auch alle anderen öffentlichen Bildungseinrichtungen zu nutzen, doch haben zum einen nicht die finanziellen Ressourcen für solche Lehrveranstaltungen, zum anderen haben sie oft (berechtigte) Skrupel in diese Lehreinrichtungen zu gehen. Abfällige Blicke und tuschelnde Mitschüler werden ebenso gefürchtet, wie Fragen nach Job und Wohnung.

Die Idee der ‚Obdachlosen-Uni‘ liegt darin, den Berliner Obdachlosen und Bedürftigen eine Bildungsperspektive zu geben, aber auch ihnen (neue) Motivation und Anerkennung zu schaffen. Dabei ist es wichtig, dass die Obdachlosen nicht nur die üblichen Kenntnisse zur Wieder-Eingliederung in die Gesellschaft sowie zu Hygiene und Gesundheit erlangen, sondern dass auch kreative Lehrangebote, wie Kreatives Schreiben, Fotowerkstatt, Social-Media etc. erstellt werden. Die Lehrveranstaltungen sollen inmitten der Lebenswelt der Obdachlosen stattfinden.

Mögliche Orte sind z. B. Obdachlosen-Unterkünfte oder sonstige Einrichtungen des alltäglichen Lebens eines Obdachlosen.

Zunächst soll geklärt werden, welche Ansprüche und Wünsche seitens der Obdachlosen bzgl. eines Lehrangebots bestehen. Dazu sollen mindestens 20, möglichst 50 Berliner Obdachlose mit Hilfe eines Fragebogens interviewt werden.

Ich freue mich auf Rückmeldungen und danke für die Mitarbeit!

Hier der Fragebogen: Fragebogen Obdachlosen-Uni

Leitet den Fragebogen auch gern an geeignete Stellen weiter!! Danke auch hierfür!!

Bitte gebt den ausgefüllten Fragebogen an:
Nachhaltigkeitsguerilla e. V.
Maik Eimertenbrink
Ohlauer Str. 8
10999 Berlin
bzw. maik@nachhaltigkeits-guerilla.de

Street Art (Graff & Santé Doxandem Squad)

Street Art für den Frieden (vgl. Du sollst eigentlich nicht töten), Street Art für Konsumverzicht (vgl. Verz*cht), Street Art Utopia (vgl. Street Art Utopia – faster food kill kill), Street Art für soziale Bewegungen (vgl. Street Art and Social Movements und Grüne Strassenkunst (vgl. Grüne Strassenkunst – wo gibt es denn sowas?) haben diesen Blog von Anfang an begleitet.

Nun gilt es, über ein interessantes Projekt in Senegals Hauptstadt Dakar zu berichten. Hier haben sich Graffiti-Künstler und Ärzte zusammengetan, um über Krankheiten wie Aids, Diabetes, Malaria und Tuberkulose aufzuklären. In Senagal wird, laut Professor Abdoulaye Niang, Soziologe und Forscher der Gaston Berger Universität in Senegal, Street Art mehr als Kunstform gesehen und weniger als Vandalismus betrachtet.

Graff & Santé ist eine dreitägige Veranstaltung unter der Mitwirkung von Doctas Team von Graffiti-Künstlern, die sich Doxandem Squad nennen. Sie gehen in die Wohngegenden der Bevölkerung der unteren Einkommensklassen, um Mauern mit Bildern und sozialen Slogans zu besprayen: „Gesundheit hat keinen Preis“ oder „Einheit in der Vielfalt“. Darauf folgt eine Aufforderung an Ärzte, ihre Zelte mitten auf der Straße aufzubauen, von wo aus sie die Bevölkerung gratis untersuchen und beraten, Medikamente verabreichen und Moskitonetze verteilen.

Wer mehr wissen möchte, schaue mal hier:
– Senerap Galsen (http://hiphopgalsene.wordpress.com/category/graffiti-art/)

– African Hip Hop (http://www.africanhiphop.com/africanhiphopnews/graff-sante-doxandem-dakar/)

– Street News Service (http://de.streetnewsservice.org/nachrichten/2011/august/feed-294/graffiti-kuenstler-und-aerzte-vereinen-kraefte-in-gesundheitskampagne.aspx)

Fliegender Kaffee in der Berliner Zeitung (und jetzt?)

Mensch,wer hätte das gedacht? Der Fliegende Kaffee entpuppt sich als Publikumsmagnet. Nun hat selbst die Berliner Zeitung einen Bericht über uns gemacht! (vgl. Artikel in der Berliner Zeitung: Der gute Zweck – Fliegender Kaffee).

Was auffällt ist allerdings, dass mehr Fliegende Kaffees bezahlt werden, sprich auf den Listen der Cafés ‚verweilen‘, als dass sie abgerufen werden.

Es wäre also mal Zeit, dass sich das Konzept des Fliegenden Kaffee´s auch mal unter den ‚Menschen mit Armutserfahrungen‘ herumspricht.

Ich poste diesen Beitrag mal bei der Facebook-Gruppe „One Warm Winter – Jacken für Obdachlose in Berlin„. Habt Ihr noch weitere Ideen, wie wir das Konzept unter den ‚Bedürftigen‘ bekannt machen könnten. Ja, okay, ansprechen wäre eine Möglichkeit… Helft Ihr uns?

Digital Begging: mal etwas Freestyle-Betteln?

(‚Lazy Beggers‘, Quelle: http://lazybeggers.net23.net)

Kreuzberg. Fünf Stationen mit der U1 in Berlin. Eine Ansammlung der Ärmlichkeit? Ein Schmelztiegel der Gesellschaft. Ein Geben und Nehmen. Arm trifft auf Zugezogen.

„Wer möchte die aktuelle Ausgabe der Motz kaufen?“ „Wer kann Kleingeld für eine warme Mahlzeit geben?“

Auch in Parks, Straßencafés und Bars dauert es nicht lange, bis man eine freundliche Spendenaufforderung erhält. Der Helferinstinkt springt automatisch an, doch da er zehn mal am Tag anspringt, springt er auch bald leider wieder ab.

Von unserer Un-Fähigkeit des Nicht-Handelns.

Allen Aufforderungen nachzukommen, das schafft selbst der sozialste Mitbürger nicht. Das Problem – wie in einer jeder Großstadt – ist das oberflächliche Netz, indem wir uns tagtäglich bewegen und welches Baudelaire als „Ennui“ bezeichnet. Diese Sphäre – bestehend aus einer Ansammlung indifferenter, fremder Personen – erzeugt einen starken Gegensatz zwischen unserem Inneren und dem Äußeren. Das nicht zu vermeidende Ergebnis in großen Städten: Langeweile und Ignoranz!

Schwierig wird es, wenn wir eigentlich spenden wollen, aber nicht mehr wissen, wem wir was geben sollen und möchten. Im Alltag sind wir durch die Überkomplexität überfordert und das resultiert oftmals darin, dass wir keinem mehr was geben (können).

Weshalb sollten nicht auch Bettler zu Strategien der Aufmerksamkeit greifen und sich positionieren? Denn woher wissen wir warum wir dem Bettler am Kotti Geld für Essen (oder was auch immer) geben, und dem Bettler eine Ecke weiter aber nicht? Der Bettler muss eine Botschaft übermitteln und einen Zugang zu seinem Inneren herstellen, um sich von der Sphäre der Oberflächlichkeit zu unterscheiden. Die meisten Menschen eilen in wenigen Sekunden an ihnen vorbei, selbst wenn man mehrmals täglich vorbeiläuft. Eine tiefere Beschäftigung findet leider selten statt.

Die ersten Freestyle-Bettler:

Warum nicht die neuen partizipativen Möglichkeiten des Internets nutzen, in dem schließlich prinzipiell jeder zu Wort kommen kann? So machten es bereits die beiden Lazybeggers Lyndon Owen und José Manuel Calvo vor: „Wir sind Bettler des 21. Jahrhunderts„. Auf ihrer Website erhält man Einblicke in das Leben der zwei Cyber Bettler. In Fotogalerien kann man ihre Freunde, Hunde und die Bilder ihrer Reise bestaunen. Man erhält eine Ahnung von dem Leben der Bettler, ihren Persönlichkeiten und kann sich davon unterhalten lassen. Durch das Einbauen von Paypal ist der Schritt zum Spenden nicht weit. Die Facebook-Seite liefert aktuelle Infos über Owen und Calvo.

Chris Coon aus New York machte mit dem Projekt „Ask a Million“ sein Schicksal ebenfalls zum Beruf, was er als Social Experiment bezeichnet. Coon bittet nicht nur um Geld, sondern erhebt zudem noch Informationen, wie Alter, Geschlecht und Einkommen des Spenders. Er protokolliert wer ihm auf der Straße einen Dollar spendet und veröffentlicht seine Ergebnisse online. Zudem erfährt man mehr über die Geschichte von Chris Coon, seinen Lebensweg und seine Hürden. Durch diese Einblicke in seine Persönlichkeit schafft er einen emotionalen Zugang zu sich. Er nutzt sogar die Möglichkeit zweckgebundene Spenden zu generieren: wer möchte kann für einen Walmart-Gutschein spenden oder für Jacken und Schuhe (das Prinzip der zweckgebundene Spende wendet auch betterplace.org erfolgreich an).

Das Web als digitale Straße?

Transparenz der Spende trifft auf emotionalen Zugang. Das Internet, als dritter Raum zwischen Innen und Außen, kann es schaffen die großstädtische „Ennui“ zu überwinden. Neben Spenden können sich Obdachlose zudem ein Gehör für ihre Themen und Anliegen schaffen. Im Grunde könnte das Web zu einer metaphorischen „U1“ mit vielen Spenden-Buttons statt leeren Coffee-To-Go-Bechern und Pappschildern werden. Mit dem Unterschied, sich – ohne Eile – die Zeit nehmen zu können, sich mit den Personen, ihrem Leben und dem Verbleib der Spende zu beschäftigen.

Bedingung dafür ist jedoch die Sozialisierung von Obdachlosen mit dem Medium Internet und der Öffnung des viralen Raums für alle. Internetzugang und der Erwerb der entsprechenden Kenntnisse sind dafür im ersten Schritt nötig. Dank immer einfach werdenden Content-Management-Systeme und Bezahl-Systeme sollte es dann möglich sein, sich sein eigenes Sprachrohr zu schaffen. Die Initiative von Nachhaltigkeitsguerilla e.V. über kostenlosen Internetzugang für Obdachlose setzt hier an und ist bereits ein erster Schritt!

Was jedoch kein Medium dieser Welt jemals ersetzen kann, ist der erfreute Blick, nachdem man einen Euro in den leeren Coffee-To-Go geschmissen hat oder sein belegtes Brötchen abgegeben hat. Und dafür lohnt es sich doch nach wie vor, in der U1 den Blick zu heben, wenn es wieder heißt: „Wer kann Kleingeld für eine warme Mahlzeit geben?“