Die Nachhaltigkeits-Guerilla sagt Tschüss

Wir wollen es kurz und schmerzlos machen: Wir haben beschlossen, die Ära der Nachhaltigkeits-Guerilla zu beenden.

Vor ca. 5 Jahren haben wir angefangen und hatten eine Mission: Kreativ, kommentierend, mit Aktionen oder viralen Spots wollten wir für eine gerechte und nachhaltige Welt kämpfen. Das haben wir 5 Jahre lang gemacht und hatten verdammt viel Spass dabei.

Warum lösen wir die Nachhaltigkeits-Guerilla also auf?

Wie Ihr mitbekommen habt, ist hier in letzter Zeit nicht mehr soviel passiert. Gefühlsmäßig ist die Nachhaltigkeits-Guerilla für uns eher Vergangenheit als Zukunft. Wir haben Lust auf Neues, Macht und Geld!

Ein weiterer Grund: Wir wollen nicht auf Abmahnungen von Anwälten warten, nur weil wir uns einen Spass erlaubt haben. In Zeiten, in denen ein Gesetz, wie das Leistungsschutzrecht durchgewunken wird, ist uns das Risiko einer rechtlichen Auseinandersetzung einfach zu hoch.

Es geht nicht immer so glimpflich aus, wie damals als Edel-Ali-Fresh auf der Flucht war vor dem Anwalt von Hoppelhase Hans. Bei der damaligen Abmahnung sind wir ohne Strafen davongekommen. Edel Ali Fresh wird bis heute vermisst.

Wir blicken zurück auf fünf Jahre Nachhaltigkeitsguerilla:

Wir haben heute erschreckend festgestellt, dass unser erster Eintrag tatsächlich schon 5 Jahre alt ist. Wir haben uns als Ideenschmiede für eine nachhaltige Welt verstanden.

Einerseits haben wir die Grenzen der Nachhaltigkeit versucht theoretisch zu ergründen. Andererseits sind auch praktische Projekte entstanden, wie der Fliegende Kaffee, die Obdachlosen-Uni-Berlin, AdInfect, Guerilla-Wohnzimmer und Internet für Obdachlose. Sicherlich waren darunter auch viele Trash-Ideen, aber, hey, es war lustig:

Wir sagen danke für die schöne Zeit und die vielen Projekte an unsere Nachhaltigkeits-Guerilleras und -Guerilleros Jasmin, Ali, Celine, Ronny, Tim, Holger, der grüne Holk, Tobi, Peggy, Lukas, Anna, Lisa, Katharina, Katja, Hendrik, Marcus, Franz, Paula, Karsten, Patricia, Julia, Verena und noch viele mehr. Und zu guter Letzt sagen wir auch auch unseren treuen Leserinnen und Lesern ein dickes Dankeschön.

Macht’s gut und Prost, Maik und Marcel

Der 20. März ist Kackstadtinterventionstag

Ein Blick in den Kalender verrät es. Heute ist Frühlingsanfang. Zeit für Frühlingsgefühle und FRÜHJAHRSPUTZ! Doch momentmal, ich habe ja gar keinen funktionsfähigen Staubsauger! Schnell die Stiefel übergezogen und auf zum Kackstadt am Hermannplatz.

Den Weg dahin versüße ich mir mit einem Schaufensterbummel. In der Auslage vom Buchhandel in der Hobrechtstraße liegt ein interessantes Buch: „Glossar der Interventionen“. Wow, denke ich mir, das schaue ich mir mal näher an. Ich gehe in den Laden, blättere im besagten Buch und muss kichern: Es gibt unendliche viele verschiedene Formen der Invervention. Und jede Branche definiert sie anders. Versicherungsagenturen, das Militär, Coaches und Aktivisten…

Vor ein paar Jahren, als ich noch den Master in Community Development in München anstrebte, hatte ich vor, über „Interventionen im öffentlichen Raum“ eine Arbeit zu schreiben. Hatte ich dann aber gelassen.

Kurz krame ich in der Brieftasche und überlege, die knapp 20 Euro für das Buch auszugeben. Doch dann fällt mir wieder ein, wofür ich eigentlich losgegangen bin. Ich brauchte ja einen Staubsauger. Ich verlasse den Buchhandel und gehe meinen Weg zum Kackstadt weiter.

Ein Blick auf die Straßen gibt mir recht: Heute ist definitiv nicht Frühlingsanfang, heute ist Kackstadtinterventionstag.

Ode artificielle

Oh du schnödes Plastik,
versüßt uns das Leben – hälst es sauber und bequem.
Bist dann auch schnell aus unserem Sinn,
und rottest fortan alleine vor dich hin.

Foto oben: aus der Ausstellung Plastic Garbage Project

So, und wer genießt jetzt seinen Nespresso-Kapsel-Kaffee?? Die sind ja zum Glück aus Aluminium.

Null Euro Weihnachten!

<<WeihnachtsWinterWichtelWahnsinn>>

Alle Jahre wieder und dennoch immer wieder unfassbar. Letztens verkündete das Radio die frohe Botschaft: der Einzelhandel atmet auf, die Umsatzzahlen klettern rauf! Endlich strömen die Konsumenten wieder in die Neuzeit-Tempel, um sich mit neuen Winterjacken, warmen Klamotten, Weihnachtsdeko, -gebäck und –geschenken einzudecken. Klimawandel hin oder her, letztere Konsumfallen sind der Fels in der Wirtschaftsbrandung, denn nichts ist in diesen Zeiten so gewiss, wie dass Weihnachten kommt! Deshalb erleben wir jedes Jahr aufs neue eine logistische Punktlandung, wenn uns bereits ab Ende November quietschrote Dekoartikel und Lebkuchen in den Regalen anlächeln.

cc by jasmin

Doch sollte nicht auch hier mal das Stichwort “Nachhaltigkeit” fallen? Worin liegt der Sinn, jedes Jahr aufs neue Christbaumschmuck, Adventslichterketten und Wintermützen zu kaufen? Früher hatte man seine Winterkiste, die genau einmal pro Jahr aus dem Dachboden geholt, entstaubt und wiederbelebt wurde. Heute scheint diese Tradition nicht mehr zu existieren, traut man den hiesigen Warenbergen in den Läden.

Noch schlimmer wird das Ausmaß, wenn man sich Wichtelabende anschaut. Maximaleinsatz: 5€. Heraus kommt eine Ansammlung unnützester Spaßartikel, wie Rudolf-Mützen, Gelkerzen, singende Weihnachtsmannfiguren oder ulkige Nippes-Engel. Für 30 Minuten lachen sich die Beschenkten beim Wichtel gegenseitig aus, wer hat das unnützere, wer das amüsantere Geschenk? Traurig, dass man zusammengerechnet sicherlich über 100 Euro für Dinge ausgegeben hat, die direkt oder auf Umwegen wieder im Müll landen werden. Aber das ist ja nicht weiter schlimm, denn Wegwerfen ist mittlerweile unser Volkssport. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit schaffen wir es tagtäglich riesige Mengen Müll zu produzieren und diesen dann auch effizient aus unseren Augen zu transportieren. Wo genau der Müll dann landet und wie lange er noch existieren wird, bevor er wieder in die Bestandteile zerfällt, aus denen er gewonnen wurde, das können wir kaum mehr abschätzen. Hier haben wir es mit einer sauberen Angelegenheit zu tun, denn paradoxerweise machen wir uns mit Müll keine schmutzigen Hände. Das Abfallsystem ist so ausgeklügelt, dass wir in einer fast desinfizierten, hygienisierten Welt leben. Aber warum ist das so unerfreulich? Immerhin steigt der Lebensstandard, na klar. Schlimm ist es nur, weil es aus den Augen, aus dem Sinn ist und uns dadurch das Bewusstsein dafür nimmt, was für Unmengen an Produkten wir hinter uns lassen. Und das wiederum führt ganz im Sinne der Industrie dazu, dass wir fröhlich weiter konsumieren. Fortschritt bedeutet schließlich produzieren und damit einhergehend auch konsumieren. Wer dem entkommen will muss verzichten…?

Wie wäre es denn, wenn wir zu Weihnachten mit Re- und Upcycling anfangen? Dafür gibt es genügend gute Gründe und ein Wichtelabend mit 0€ Produkten kann viel amüsanter, kreativer und gemeinschaftlicher sein, wenn wir statt einer Kerze, eine Zeichnung, ein Kuscheltier aus alten Socken oder eine kleine Gesangseinlage erhalten. Diese Idee verfolgt auch die Plattform Zeit statt Zeug: www.zeit-statt-zeug.de bei der man ready-made Ideen und Gutscheine für Kochabende statt Kochbücher, für Strickstunden statt H&M-Schals oder auch Reparierhilfe statt neuem Fahrrad erhält. Aber das geht doch noch besser!

Deshalb ruft Nachhaltigkeitsguerilla alle Guerilleros zu einem Weihnachtsboykott auf: das Null-Euro-Weihnachten.

Wer von euch schafft es, Weihnachten für 0€ zu verbringen (oder zumindest annähernd 0€) und dennoch seinen Freunden & der Familie erfreuliches zu bereiten? Postet oder schickt uns gerne eure Recycling- oder Gratis-Geschenkideen!

Einzig Oscar aus der Tonne könnte das Ganze nicht in den Kram passen. Aber der kann dieses Jahr vielleicht auch mal leer ausgehen..

Fliegende Menschen (Programmankündigung)

(Bildquelle: Jill Emerson)

Eine Produktion vom „Brückeladen“- GEBEWO – Soziale Dienste Berlin gGmbH, der Obdachlosen – Uni Berlin in Kooperation mit der Volkshochschule Treptow-Köpenick.

Inspiriert von Kästners „Das Fliegende Klassenzimmer“ ist „Fliegende Menschen“ ein Stück darüber, wie man sich allein durch die Macht des eigenen Verstandes an bestimmte Orte transportieren kann.

Eigenverantwortung und Selbstermächtigung, um Lebensumstände zu transformieren. Die Protagonisten sind wegen bestehender Bedingungen nicht in der Lage, physisch in Ferien zu gehen. Die Darsteller kommen vom Brückeladen, einem Treffpunkt für Arbeitslose, Suchtkranke, und (ehemals) Wohnungslose oder von der Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen. Mangel an Geld oder Gesundheitsprobleme machen eine Reise nahezu unmöglich.

„Fliegende Menschen“ untersucht Wege, wie Einzelne schwierige Umstände überwinden, um sich selber zu beflügeln. Es zeigt auch auf, wie wir unsere eigenen Gedanken kultivieren und Gedanken anderer Menschen akzeptieren, anschauen und annehmen können, ohne sie gleich abzulehnen.

Das Stück benutzt die Sprache des Theaters, um die Erinnerungen und Fantasien der Darsteller in Musik, Tanz, und Schauspiel zu übersetzen, das gleichzeitig über unsere Kräfte der Selbst-Realisierung nachdenkt genauso wie es sie umsetzt – durch das Stück, das erarbeitet wird, selbst.

Regie: Jill Emerson // Musik: Claus Erbskorn // Bühne: Thomas Schneider und andere

Von und mit: Bertram Lattner, Dieter Friedrich, Harald Bicker, Thomas Schneider, Jennifer Tornovius, Klaus Seilwinder und anderen

Premiere: Samstag, 3.11.2012 / 15 Uhr
Aufführung: Sonntag, 4.11.2012 / 15 Uhr
Ort: Ratz-Fatz, Schnellerstr. 81, 12439 Berlin

Spenden erwünscht!

Reservierung: Brückeladen Di – Fr 10-13 Uhr persönlich oder Tel:030 / 63224581

(als PDF: 2129-H Fliegende Menschen)

Du bist Pappwand

Wieviel Privatspäre darf man eigentlich erwarten? Google Streetview zeigt sie: Die Eckensteher und Straßenspazierer. Sie telefonieren. Sie laufen, gehen, fahren Rad, trinken, reden, lachen, weinen, sitzen, stehen oder drehen uns den Rücken zu. Google sieht alles und stellt es online: auf Google-Streetview.

Und nun gibts es diese Steher, Geher, Fahrradfahrer, Trinker, Redner, Lacher, Weiner, Sitzer und Rückenzudreher auch als Pappwand.

Genau die Bilder, die bei Google-View online sind, genau diese Bilder und Personen sind es, die jetzt an genau den Ecken und Wänden angebracht sind, an denen die Aufnahmen gemacht wurden.

Hier ein Beispiel aus Berlin, Tatort Weserstraße:

So siehts auf Google-Streetview aus…

…und hier die entsprechende Pappwand:

Diese Kunstaktion zeigt uns mal, was wir eigentlich bzgl. unserer Privatsphäre zulassen. Habt Ihr Euch schon an irgendeiner Wand entdeckt? Haltet die Augen offen!

STRAßENZEITUNG, STADTFÜHRUNGEN, OBDACHLOSENUNI & CO. Wohnungslose Gemeinsam Aktiv!

„Obdachlose sind arm dran!“, so die gängige Meinung. „Obdachlosen muss geholfen werden!“, eine weitere gängige Meinung. Diese Meinungen sind in vielen Fällen sicherlich auch richtig. Wohnungslose Menschen oder Menschen mit Armutserfahrungen verfügen aber auch häufig über vielfältige Ressourcen, die aufgrund ihrer aktuellen Lebenssituation verschüttet sind und nur darauf warten, geweckt zu werden. Manchmal bedarf es nur einer geeigneten Initialzündung, einer Idee oder eines Unterstützungsangebotes, dass sie sich ihrer Möglichkeiten bewusst werden, sich zu beteiligen und aktiv an der Verbesserung ihrer Situation mitzuwirken.

(Abbildung: (wohnungsloser) Stadtführer der Nebenschauplätze; Bildquelle: Hinz und Kunzt gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH)

Es gibt bereits zahlreiche Beispiele, wie sich wohnungslose Menschen engagieren. So nutzen z.B. Wohnungslose ihre speziellen Stadtkenntnisse, um eigenwillige Stadtführungen anzubieten – mit großem Erfolg. Andere wiederum haben ihre Begeisterung für Kultur entdeckt: ob als Schauspieler_innen im Obdachlosentheater, als Sänger_innen im Straßenchor, als vortragende Autor_innen im Vagabunden-Slam oder als auch Fotograf_innen mit einem ganz eigenem Fokus. Andere nutzen ihre Zeit sportlich z.B. als Libero im Homeless-Worldcup oder berichten als Lehrer_innen von ihren Erfahrungen an Grundschulen, Gymnasien oder in eigens gegründeten ‚Obdachlosen-Unis‘.

(Abbildung: Bertram Lattner, wohnungsloser Dozent in der Obdachlosen-Uni Berlin, Bildquelle: Jan Söfjer)

Mehr noch: Wohnungslose machen Radio und TV, schreiben in Straßenzeitungen und -Blogs, bauen Häuser, legen Gärten an, kochen (halb-)öffentlich, bedrucken T-Shirts in der hauseigenen Siebdruck- werkstatt oder reparieren Fahrräder. Und einige versuchen sich als Händler_innen von Trödel und Büchern oder als Imbissverkäufer_innen am eigenen Imbissstand.

(Abbildung: Apropos-Sendungsteam; Bildquelle: www.radiofabrik.at)

Viele dieser Projekte werden in der nachfolgenden Best-Practice-Sammlung dargestellt und machen deutlich, wie vielfältig Menschen in besonderen Lebenssituationen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu nutzen wissen. Wohnungslose, die durch ihr persönliches Engagement einen neuen Platz im Gemeinwesen finden, gewinnen ihre Souveränität zurück – und nicht nur ihre Konsumentensouveränität, wie Birgit Wiese (vgl. Wiese, Birgit (2008): Konsumentensouveränität im Bereich sozialer Dienstleistungen: Ein Mittel der sozialen Integration? Eine qualitative Studie am Beispiel der Obdach- und Wohnungslosenhilfe, Berlin) beschrieben hat, sondern eine Souveränität in allen Bereichen des Lebens.

Im zweiten Teil der Publikation werden bereits vorhandene Netzwerke vorgestellt, die lokal, überregional oder auch europaweit verankert sind. Bei allen Netzwerken steht im Vordergrund, nicht über die Schicksale von Wohnungslosen zu entscheiden, sondern mit ihnen. Im letzten Teil werden schließlich verschiedene, wegweisende Publikationen zum Thema ‚Gesellschaftliche Teilhabe von Wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen‘ vorgestellt.

Viel Vergnügen beim Lesen und lasst Euch inspirieren!

Link zur Publikation

Viel Lärm um nichts?

Spiegel Online

Eröffnung des BMW Guggenheim Labs in Berlin (Quelle: Spiegel Online)

Am Freitag eröffnete in Berlin das lang umstrittene BMW Guggenheim Lab. Wie bereits umfassend berichtet (u.a. in der Berliner Morgenpost), entschied sich das Lab nach Protesten in Kreuzberg für den Prenzlauer Berg als Standort. Die Eröffnung letzten Freitag, den 15. Juni am Pfefferberg hatte aber weniger Pfeffer als erwartet. Neben einer kleinen Demonstration, gab es vier Vorträge des Berliner Lab Teams zu sehen. Die dritte, wackelige Rede von Corinne Rose steckte scheinbar an: ein Besucher stand plötzlich ebenfalls auf wackeligen Beinen und klappte während ihrer Rede einfach rücklings um.

Schwarz vor Augen – eine weitläufige Reaktion? Schwarz habe ich zwar nicht gesehen, aber mein Puls schoss bei dieser Veranstaltung zugegebenermaßen auch nicht wirklich in die Höhe. Die Projekte sind eine Kombination aus soliden, aber wenig revolutionär anmutenden Ansätzen, wie der Fahrrad-Highway von Rachel Smith. Smith sprach darüber, dass sie in Australien aufgrund ihres Projektes für „absolutely crazy“ gehalten wurde. Nunja, ein Fahrrad-Highway… Diese Idee wurde schon öfters in meinem Umkreis diskutiert und man stimmte dem eher begeistert zu, als dass man uns für verrückt erklärte. Die Innovationskraft dieses Projektes, die sie vielleicht in New York oder Brisbane haben kann, scheint in einer europäischen und grünen Stadt wie Berlin etwas an Kraft zu verlieren (dass das Projekt dennoch in die richtige Richtung geht, möchte ich aber nicht bestreiten).

Gepaart mit ein paar Do-it-yourself-Workshops im Anschluss erschien das Gesamtbild der Veranstaltung jedoch eher zahm. An einem Stand von Etsy konnte man Weben, an einem anderen wurde unsere kreative Energie in selbstgenähte Handytaschen & Portemonnaies gesteckt, an einem anderen konnte man Designer-Hocker bauen. Die partizipativen Projekte zerstreuten eher die Gedanken und erzeugten Ergebnisse auf Hobby-Niveau. Soll hier wirklich kreatives Crowd-Thinking betrieben werden oder eher eine Beschäftigungsmaßnahme und ein pseudo-offener Ansatz verfolgt werden, weil der in Zeiten von Web 2.0 so angesagt scheint?

Einen ähnlich Eindruck hinterließ auch das Makerlab auf der DMY. Ein Symbol als Logo (oder ein Logo als Symbol) für Menschenrechte:

Prinzipiell eine interessante Idee. Als Besucher wurde man dazu angehalten das Logo zu verändern, neue Gestaltungsräume zu entdecken und somit die Belastbarkeit der Wiedererkennung zu testen. Das Logo an sich ist allerdings unantastbar! Man fühlte sich dann doch eher als Milchkuh, deren Kreativ-Euter angezapft werden sollte. Denn wirkliches Mitdenken im Sinne von Kritik war nicht mehr gefragt, sondern nur ein spaßiger Umgang mit der Vorlage.

Mir scheint als könne die Brücke zu den dahinterliegenden Themenkomplexen trotz engagierter Beschäftigungsmaßnahmen und Handwerker-Bastel-Lager nicht gebaut werden. Da werden Räume und Foren geschaffen, in denen endlich jeder mitarbeiten kann, absolute Transparenz und Demokratie herrscht, aber dennoch sind die Projekte so angelegt, dass man eher als fleißiger Zuarbeiter und weniger als Mitarbeiter agiert. Die Teilnahme wird dadurch meiner Meinung nach zu trivial und verliert ihren Reiz… Vielleicht gibt es aber auch bessere Beispiele oder dieses Projektprinzip steckt noch in Kinderschuhen und muss erst wachsen, um sich zu verbessern. Die beiden letzten Erfahrungen haben aber leider Zweifel aufkommen lassen, ob organisierte Veränderung à la „selbst gemacht“ überhaupt möglich ist.

Anti-Touri-Tour

Oft zieht es Touristen zu den Sehenswürdigkeiten einer Stadt: alte Paläste, große Monumente und geschichtsträchtige Begegnungsstätten, mit denen sich eine Stadt schmückt. An ihnen wird die Besuchswürdigkeit und historische Relevanz der Stadt gemessen – und das Prädikat „sehenswürdig“ vergeben.

(c) by Michael S.

Ein Gedankenexperiment

Wie wäre es sich mal eine Stadt ohne Sehenswürdigkeiten anzusehen? Oder zumindest abseits dieser? Hier setzt die Idee der Anti-Touri-Tour an: Es werden nur Orte angesteuert, die unsehenswürdig sind. Auch die von ZDFkultur gestartete „Anti-Sightseeing-Tour“ will Städte ohne große Sehenswürdigkeiten sehenswert machen. Wie? Durch die kleinen, ungesehenen Aspekte, die eine Stadt lebenswert machen. Doch eine Anti-Touri-Tour könnte noch mehr erreichen, als nur wieder zur Aufwertung einer Stadt im klassischen Sinne beizutragen.

In Duisburg könnte die Anti-Touri-Tour vom Love-Parade-Tunnel, mit einer Besichtigung der genauen Unglücksstelle, über das Headquater der Bandidos hin zum italienischen Mafia Restaurant, bis nach Marxloh führen, dem „sozialen Ghetto“ Duisburgs.
Oder stellen wir uns vor nach Erfurt zu reisen, um dort die Route des Amokläufers nachzuvollziehen. Ausgestattet mit einem Leitfaden, folgen wir Markierungen auf dem Boden, die uns ein Gefühl für Raum und Zeit der Tat geben und somit auch für das Schrecken. Denken wir einen Schritt weiter. Wie wäre ein digitales Egoshoot-Spiel im realen Raum, in dem wir den Amokläufer selbst spielen, die Tat durchlaufen und sogar noch erfolgreicher aus dem Kampf herausgehen könnten. Makaber. Vielleicht.
Wieso konzentrieren wir uns immer nur auf jene Orte, die vorzeigbar sind? Wieso soll nicht auch mal eine Auseinandersetzung mit Problemen, dem Vergessenen oder Verdrängten und somit eine Konfliktverarbeitung stattfinden? Weil es unbequem ist. Vielleicht.

Die Stadt aus der Perspektive des Verdrängten

Schönheitsflecken, soziale Brennpunkten oder kriminelle Zentren bringen Schande über die Stadt, werden versteckt und sollen nicht das Image stören oder gar repräsentieren. Lediglich positiv besetzte Eigenschaften, wie Wissenschaftsstadt, Messestadt, Jugendstilstadt, etc. werden herausgekehrt. Nicht jedoch: kriminellste Stadt, lauteste Stadt oder Stadt mit der höchsten Arbeitslosenquote Deutschlands. Aber zeigt das hingegen nicht das eigentliche Gesicht der Stadt? Am Rand der Gesellschaft liegt doch das vermeintlich Authentische und somit die wahre Seele einer Stadt. Wenn Sehenswürdigkeiten immer nur das stilisierte und idealisierte einer Stadt vermitteln, dann würde das im gleichen Zuge doch auch bedeuten, dass genau dadurch gar kein authentisches Bild der Stadt gezeigt werden kann, durch eine Anti-Touri-Tour hingegen schon eher? [Was aber die Grundfrage danach aufwirft, wo sich das „Authentische“ auffinden lässt. Ob es nur durch Inszenierungen wie z.B. im Rahmen einer Tour zugänglich wird und ob es uninszenierte Authentizität überhaupt geben kann. Gerade wenn es um die Darstellung problematischer oder vergangener Orte geht, und diese visuell faktisch erscheinen wollen, müssen sie sich wiederum inszenieren und nehmen somit vielleicht wieder Strukturen einer Sehenswürdigkeit an.]

Als Tourist ist man immer einem inszenierten Dispositiv ausgesetzt. Einer vorzeigbaren bzw. vorgezeigten Stadt. Die ausgeschnittenen Elemente sind auf den ersten Blick unsichtbar und deshalb für den normalen Touristen nicht zugänglich. Weshalb sollte man die Stadt nicht mal invertiert, quasi als Bildnegativ betrachten? Die Anti-Touri-Tour soll genau das leisten: Städte von unten betrachten, aus der Perspektive des Verdängten.

Der Blick in die ausgestülpten Bereiche, fernab des Vorzeigbaren, verrät mehr über das wahre Bild einer Stadt, als jene Attraktionen, die ohnehin jeder zu Gesicht bekommt. Denn durch das Einnehmen einer anderen Perspektive wird der Ausdruck Parallelgesellschaft erfahrbar und die Unsichtbarkeit ausgegrenzter Personen im städtischen Gesamtbild wieder sichtbar. Das Theaterstück „Niemandsland“ des holländischen Regisseurs Dries Verhoeven verfolgte ebenfalls diese Idee: Niemandsland nahm den Besucher auf eine auditive Reise in Hannover, um ihm individuelle Schicksale und Geschichten von dort lebenden Migranten zu schildern. Ausgestattet mit Köpfhörern lief man durch bekannte Straßen und erhielt ungekannte Einsichten.

Etwas weniger makaber als eine Amok-Tour durch Erfurt, dafür leichter erträglich und deshalb schon praktiziert, sind die Zweite-Heimat-Touren in Neukölln bei denen Migranten ihre Sicht auf Berlin zeigen und den Besucher an verborgene oder alltägliche Orte führen, zu denen er sonst niemals durchdringen würde. Genau dort kann man die Stadt aus einer neuen Perspektive betrachten, den Schwierigkeiten der Integration von Türken näher kommen und für diese Problematiken sensibilisiert werden.

 

http://www.youtube.com/watch?v=ZV0Z7sUqpG0

Neuer Termin Obdachlosen-Uni: Philosophie

Es wird Zeit, dass wir eine eigene Website für die Obdachlosen-Uni basteln, sonst ‚verkommt‘ dieser Blog zu ´ner reinen Ankündigungsmaschine. Nichts destotrotz freue ich mich natürlich riesig, dass bereits ein neuer Termin für nächste Woche festgelegt werden konnte! Hier die Einladung:

Kommt zahlreich, es wird bestimmt spannend!

Auch der Termin heute war überaus interessant. K., der eigentlich berichten wolllte, wie man von der Strasse runterkommt, erzählte plötzlich vom Beruf des Messerschleifers und B. konnte mit einigen Pointen von Rindfleisch-Whiskey-Handel begeistern. Neben dem Pointen gabs auch ´ne Menge Wissenwertes. Wird hier aber nicht verraten, Ihr müsst schon selbst kommen. Wann und Wo erfahrt Ihr (bisher noch) auf diesem Blog – ziehen wir um, sagen wir Bescheid!

Gestern konnten wir übrigens noch eine Einrichtung in Friedrichshagen ‚anteasern‘. Wer noch geeignete Einrichtungen kennt, wo wir die (nomadische) Obdachlosen-Uni vorstellen können, darf gern Tipps geben.